Straßen-Döntjes von A – Z

An dieser Stelle gibt es eine kleine Sammlung von Straßenkunst Anekdoten, historisch und aktuell, national und exotisch, tragisch und lustig:

A wie André Heller

1987 eröffnete Anfang Juni der Kunst-Jahrmarkt „Luna Luna“ von André Heller auf der Moorweide in Hamburg. „Brust oder Keule“ (Majhab Helmut Ferner und ich) waren über Hanne Mogler vom Foolsgarden Theater auf ein Casting für Kleinkünstler aufmerksam gemacht worden. Am Anfang wurden ausschließlich Walk-Acts gesucht, die zwischen den „Buden“ mobil unterhalten sollten, bzw. die Wartenden in den Schlangen bespaßen. Das Casting fand in der Markthalle statt (wir waren als Stelzen Duo „Hinnerk und Kalle“ mittenmang) und André Heller war persönlich da. Majhab war überzeugt, dass wir nicht dabei sein würden, da ich den Kopf des Maestros für einen klassischen Stelzenläufer-Gag benutzt hatte…. Wir waren dann aber doch dabei und es stellte sich schnell heraus, dass die Straßenkünstler die Hauptattraktion der Veranstaltung waren und unsere Kreisshow/ Straßenshow war immer öfter gefragt. Der tägliche Feuerwehrball, eine Gruppenshow mit allen anwesenden Künstlern wurde Kult und im Juli und August waren wir immer mal wieder zu Werbezwecken in der Innenstadt (hier der link zu einem 9 ½ minütigen  Video vom August 87 auf dem Jungfernstieg https://youtu.be/9R9XwcFypNE ) und einigen Ostseebädern unterwegs. Mit dabei unter anderen: Marlene Jaschke (hat da ihre ersten Gehversuche gemacht), Herr Holm (damals noch mit Frau Holm als Duo) und Günter Märtens (von Ulrich Tukurs Rhythmus Boys), Ingo Kotzke Jongleur, Henrik and Dave und viele weitere, deren Namen mir leider entfallen sind….

B wie Beaubourg (Centre Georges Pompidou)

Mit 16 war ich alleine per Anhalter mit Zelt und Rucksack in Frankreich unterwegs. Mit einigen Klassenkameraden, die per Interrail durch Europa tourten hatte ich mich unter dem Eiffelturm verabredet, um dann gemeinsam Paris zu erforschen. Sie hatten ihre Pläne geändert und mussten gleich nach dem Rendezvous zum Bahnhof, gaben mir aber noch den Tipp mir unbedingt diesen Platz anzugucken, weil mir das bestimmt gefallen würde…. Und so nahm ich die Metro zur Station Beaubourg und folgte den Schildern zum Centre Pompidou und sah zum ersten Mal echte Straßenshows! Jongleure (u.a. Cotton McAloon), Fakire, Zauberer, Musiker, Pantomimen (u.a. Les Bubb) und eine unglaubliche Atmosphäre von Lebendigkeit, Freiheit und Freude. Ich verbrachte meine Zeit in Paris überwiegend vor dem Centre Pompidou, das wie sich (für mich) später herausstellte auch ein Museum für moderne Kunst beherbergt, lebte von Baguette mit Camembert und Yoplait (Trinkjoghurt), und warf immer etwas von meinem spärlichen Tagesbudget in die Hüte der Künstler. Dann hörte ich vom Festival d´Avignon, und entdeckte noch mehr dieser wunderbaren Welt! So ergab ein Wort das Andere und 3 Jahre später startete ich meine eigene Karriere als darstellender Künstler im öffentlichen Raum, was nunmehr 35 Jahre her ist. Und weil ich derzeit nicht raus darf, komm ich mal dazu ein wenig zu dokumentieren….

Unsere erste Straßenshow spielten Majhab und ich in den Frühjahrsferien 1985 in Avignon! Beim Centre Pompidou ergab sich das für mich erst im Februar 2007, auf dem Weg nach Marokko mit Rucksack und Bus und Bahn. Mehr dazu, siehe D wie Djemaa el Fna.

C wie Covent Garden

Im Sommer 88 sind „Brust oder Keule“ (Majhab und ich) zum ersten Mal auf einem internationalem Festival dabei: In Cardiff/Wales belegen wir mit unserer Duo-Show den 2. Platz unter den Jongleuren und fahren auf dem Rückweg bei Kollegen in London vorbei. Die nehmen uns mit nach Covent Garden und wir spielen spontan auf dem West Piazza eine Show (von den lokalen Kollegen kritisch beäugt, denn wir hatten einen Covent Garden Künstler in Cardiff „besiegt“). Wir haben Spaß und 80,-£ in den Hüten (und sind ein wenig enttäuscht, dass wir die 100  nicht knacken konnten). 10 Jahre später lebe ich mit meiner damaligen Frau Romany (www.romanymagic.com) für 2 Jahre in London und CG ist „mein Büro“ (so wie Wimbledon Boris Beckers Wohnzimmer ist) und es ist ein hartes Pflaster. Je nach Jahreszeit spielen hier 15 bis 30 Künstler*innen täglich, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der überdachte Platz, die North Hall, wird wöchentlich per Auslosung belegt und die West Piazza jeden Morgen. Die routiniertesten Künstler (es sind zu 90% Männer) können zu den guten Spiel-Zeiten viel Geld verdienen, aber die guten Zeiten sind rar und der ökonomische Druck ist fühlbar, die Konkurrenz hoch und gleichzeitig gibt es auch eine spürbare Solidarität. Ich spiele mit Andy Christie zusammen Duo-Shows wenn mir der Kampf alleine zu anstrengend wird und wenn ich 80,-£ im Hut habe bin ich sehr zufrieden! Und obwohl ich dort nie vom Erfolg verwöhnt werde, merke ich doch immer wieder, wenn ich woanders spiele, wie ich als Auftrittskünstler wachse….

London ist die von Touristen meistbesuchte Stadt Europas. Covent Garden ist unter den Top Touristen Attraktionen Londons…und auch wenn man zugeben muss, dass die Läden und die Restauration vergleichsweise nett sind, so ist wohl doch die Straßenkunst hier die Hauptattraktion…! Covent Garden ist meines Wissens der meistbespielte Auftrittsort für Straßenkunst in Europa und  die Nummer 2 in der Welt (Nummer 1 siehe D).

Wir beantragen für die Straßenkunstszene in Covent Garden den Weltkulturerbe-Status.

D wie Djemaa el Fna (hat Weltkulturerbe-Status)

Das Pflasterspektakel in Linz (siehe G wie Gauklerhochzeit) gibt es nunmehr seit über 30 Jahren und es gehört zu den größten und schönsten Straßenkunstfestivals in Europa. Seine Entstehungsgeschichte nimmt Bezug auf den Platz der Gaukler in Marrakesch. So hörte ich zum ersten Mal von ihm.

Im Januar 2007 bin ich mit Rucksack und Öffies unterwegs auf der Suche nach den Wurzeln der Straßenkunst. Ich reise ohne Hocheinrad und Verstärker mit Bus, Bahn und Fähre Richtung Marokko, weil mein Leben grade ein wenig aus den Angeln gehoben worden war und ich Zeit hatte und brauchte, mich zu orientieren. Ich mache Zwischenstopps in Straßburg, Paris, Bilbao, Madrid und Orgiva, besuche Freunde und Kollegen und gehe in Museen und Ausstellungen. In Paris komme ich an einem sonnigen Wochentag Ende Januar zum Centre Pompidou. Es ist nicht viel los und ich spreche einen Straßenzauberer an, der grade seine Show abgebrochen hat. Er erkennt mich als Kollegen an und meint ich kann gerne mein Glück versuchen, aber auf Feuerfackeln müsste ich auf Grund der Sicherheitsauflagen verzichten. Also spiele ich eine Stehgreif-Show mit Diabolo, Bällen, Huttricks und Keulen auf Französisch und ich bekomme einen kleinen Publikumskreis – es läuft gut. Der Kollege ist beeindruckt und ich freue mich über einen geschlossenen Kreis in meiner Laufbahn.

In Marokko angekommen nehme ich den Nachtzug von Tanger nach Marrakesch. Früh am Morgen komme ich am Bahnhof an, orientiere mich und laufe zu Fuß zur Medina, durch eines der alten Stadttore hinein und direkt zum Djemaa el Fna, dem Platz der Gaukler. Es ist inzwischen gegen 10.00 Uhr und der Platz ist noch praktisch menschenleer, aber ich sehe eine Menschentraube: 2 Akrobaten haben bereits einen Kreis versammelt und zeigen Tricks. Ich werde als Europäer sofort angekobert, lasse als Reaktion meinen Hut um den Finger wirbeln und werde prompt auf die Bühne geholt, bin direkt Gastkünstler und exotische Attraktion, diese Gelegenheit lässt sich niemand der Beteiligten entgehen. Ich suche mir eine Pension in der Nähe und erlebe den Rhythmus des Djemaa el Fna. Gegen Mittag, wenn die ersten Touristenbusse eintreffen, bauen die Schlangenbeschwörer ihre Sonnenschirme auf, die ersten fliegenden Händler machen ihre Runden, die Orangensaftstände werden öfter aufgesucht und die Basare auf allen Seiten des Platzes füllen sich. Die Affenführer posieren für Fotos und nach und nach kommen die Schreiber, die Wunderdoktoren, Zahnärzte, Apotheker, die Geschichtenerzähler und die Musiker. Es gibt mobile Essensstände mit heißen Maronen und Schnecken in Sud und Geschicklichkeitsspiele, wie das Flaschenangeln. Zum Abend entsteht an der Nordseite des Platzes ein kulinarischer Markt mit Straßenrestaurants und Essensständen aller Art. Es gibt Fisch und Fleisch und Suppen und gefüllte Kartoffeln und Ziegenhirn und Süßigkeiten…. Die Shows beginnen auch gegen Abend und das Publikum auf dem Platz besteht zum großen Teil aus Einheimischen und nordafrikanischen Touristen. Alle Künstler sprechen marokkanisches Arabisch oder Berber und es wird sehr viel animiert, auch die Musiker verbringen viel Zeit damit zwischen den Stücken Geld zu sammeln. Jeden Abend bis in die Nacht, seit Jahrhunderten, unzählige Kreise, tausende von Menschen. Bei Einbruch der Dunkelheit werden Gaslampen aufgestellt, so dass die Shows beleuchtet sind. Bettler und Behinderte kommen „spontan“ in die Shows und die Künstler sammeln für die Bedürftigen: „Muslime! Wohltätigkeit ist eine der Säulen des Islams! Nun habt Ihr die Möglichkeit zu geben und Eure Pflicht zu erfüllen…“ und teilen das Geld mit Ihnen. In einem Kreis werden Boxkämpfe zwischen Zuschauern veranstaltet, ein Musiker hat ein Huhn auf dem Kopf, ein alter Mann sitzt im Gedränge und lässt sein Meerschweinchen laufen. Es wird praktisch kein Alkohol getrunken, fliegende Händler sind mit Tee oder Zigaretten (Stückweise) unterwegs, Taschendiebe werden fortgejagt und immer wieder wird gesammelt und man weiß nicht ob man für das grade Gesehene bezahlt, oder für das was kommen soll. Ich bin mitten drin und dabei (mehr dazu unter H wie Hisham) und als ich zurückkomme habe ich Orientierung gefunden, ziehe wenige Monate später mit Nicole zusammen auf´s Land und wir kriegen Kinder.

Zweimal fahren wir mit Familie im Wohnmobil nach Marokko und erkunden das Land und seine Plätze. Es gibt einen Reiseblog von 2010 und 2013 (www.kaluamlu.de) und ein Straßenkunstprojekt mit Fotoausstellung: Quo Vadis Arsvia – der Marktplatz (www.kalumalu.com).

E wie Eilat

Im Herbst 2002 fahre ich zusammen mit meiner Mutter Ursel nach Israel und Palästina. Über unsere Arbeit mit dem Earthstewards Network kennen wir die Familie Issa, die in Bethlehem die Hope-Flower Schule leitet in der palästinensische Kinder unter anderem Hebräisch und Friedenserziehung auf dem Lehrplan haben (www.hopeflowers.org). Wir kommen über einige Checkpoints nach Bethlehem und sind ein paar Tage zu Gast bei den Issas und in der Schule. Wir erleben viel, unter anderem eine Ausgangssperre. Ich habe meine Show dabei und will für die Schüler*innen und die Lehrerschaft eine Vorführung geben. Petroleum ist in ganz Bethlehem nicht zu bekommen und ich finde heraus, dass man auch mit Dieselkraftstoff Feuerfackeln laden kann (es rußt deutlich mehr!). Die Show auf dem Schulhof ist ein voller Erfolg und ich bringe einigen Lehrkräften das Jonglieren bei, denn ich habe auch eine Ladung Jongliersachen dabei, die mir Israelische Kollegen mit gegeben haben, um sie in den besetzten Gebieten zu verteilen (die andere Hälfte geht in ein Flüchtlingslager in der Nähe). Die Kontakte zu israelischen Jongleuren hatte ich über das Jongliermagazin Kaskade hergestellt und auch in Tel Aviv kommen wir bei meinen Kollegen unter. Es gibt einen Ort in Tel Aviv, wo an Markttagen Straßenshows gespielt werden können, aber es lässt sich etwas zäh an – es ist einfach schwerer einen Kreis aufzubauen, wenn ein reales Risiko von Anschlägen besteht. Nichtsdestotrotz gelingt es mir eine Show zu spielen, inklusive der englischen Version der Kinderhymne von Bert Brecht und einigen gerührten Tränen im Publikum (Foto und Gedicht siehe www.kammannmachtspass.de). Ursel fliegt zurück und ich miete mir ein Auto, denn ich habe noch ein paar Tage Zeit. Ich fahre nach Eilat, ein Badeort am südlichsten Punkt Israels am roten Meer, weit weg von allen Konflikten. Ich wohne im Hostel und gehe im roten Meer Schnorcheln und Abends schiebe ich mein Einrad und meine Jongliersachen an der Promenade lang und finde ein ruhiges Plätzchen, um eine Show zu spielen. Hier ist es leichter einen Kreis aufzubauen, die Leute sind in Urlaubsstimmung und ich bin erfüllt von meinen Abenteuern und der Herrlichkeit der Unterwasserwelt. Als die Menschen am Ende der Show zu mir kommen um ihre Schekel in meinen Hut zu werfen, spricht mich eine junge Frau an: „Are you really from Germany or are you just saying that because it´s cool?“ (Bist Du wirklich aus Deutschland, oder sagst du das nur , um cool zu wirken?).

F wie Foolsgarden

Der Foolsgarden (das Foolsgarden Theater, um die korrekte Bezeichnung zu verwenden) war eine Institution der Hamburger Kleinkunstszene, bevor es die gleichnamige Band zu internationaler Bekanntheit brachte. Der erste Standort war in der Bornstrasse, die beim Abaton vom Grindelhof abgeht und direkt nebenan war im Tiefparterre das erste Ladengeschäft der Pappnase, wo wir alle unsere Requisiten kauften und beim Ausprobieren unauffällig beobachteten, ob jemand guckt wie toll wir jonglieren können. Die Pappnase war von einigen Kollegen aus den Jongliertruppen „Klappskallis Keulenkompanie“ und „Knall und Fall“ gegründet worden und gehörte zu den ersten 3 Jonglierläden in Deutschland. Der Foolsgarden wurde 1978 gegründet und betrieben von Hanne Mogler und wegen seiner geringen Deckenhöhe eigentlich ungeeignet für Jonglage und Hocheinrad. Nichtsdestotrotz beschlossen Majhab und ich mit „Brust oder Keule“ ein Abendprogramm auf der Bühne zu probieren. Pressefotos machten wir mit Selbstauslöser auf dem Sofa meiner Einzimmerwohnung In Harburg mit Clownsnasen. Die Auftrittsmusik und Einspieler nahm ich mit dem Kassettenrekorder auf. Das Foto war als Tagestipp im Veranstaltungsteil der Bild-Zeitung und so gelang es uns auch 2 Gäste anzulocken, die nicht aus unserem Freundeskreis oder unseren Familien stammten. Das Programm war zusammengeschustert aus Straßennummern und neuen Ideen, überwiegend ungeprobt und von jugendlicher Begeisterung getragen, also gute Unterhaltung. Als Finale saßen wir, da wir die extra 20cm Höhe brauchten, vor der Bühne, gebückt auf unseren Hocheinrädern und warfen 6 Keulen hin und her.

Bei den Foolsgarden-Geburtstagsfesten Anfang Mai spielten wir draußen im Hof unter freiem Himmel, wie wir das gewohnt waren, zusammen mit anderen Hamburger Jongleuren. Auf der Bühne waren z.B.  Aprilfrisch (jetzt Stefan Gwildis/Söhne Hamburgs), Herrchens Frauchen (Polittbüro) und das Mägädäm Theater zu sehen, die wie viele Hamburger Kulturikonen im Foolsgarden angefangen hatten und gelegentlich vorbeikamen.

Später, als Hanne ins Schanzenviertel umgezogen war, organisierte Lucy Lou dort die „Glanz & Glitter“ Mixed Show.  Bei anderen Mixed-Shows im Foolsgarden spielte ich als Herr Kammann mein Lyrikprogramm ein.  Am 31. Oktober 2013 wirkten wir dann bei der Abschiedsveranstaltung des Foolsgarden Theaters mit. Ende Legende.

G wie Gauklerhochzeit

im Juli 1991 fahren wir „Brust oder Keule“ zum ersten Mal zum Pflasterspektakel nach Linz in Oberösterreich. Hamburger Kollegen, hatten schon länger begeistert davon berichtet, aber wir wollten nicht nur für Hut-Geld nach Österreich fahren – Straßenshows konnten wir auch näher dran spielen. Was uns schließlich dazu brachte es doch einmal auszuprobieren war, dass es in Linz eine Münzzählmaschine geben sollte, wo man sein Hut-Geld nach den Shows in Scheine umtauschen konnte…. Und dann war es wieder mal Liebe auf den ersten Blick. Tausende von Menschen, die in der Stadt waren um Straßenkunst zu sehen, hunderte von Künstler*innen, 3 Shows pro Tag, Auslosung der Auftrittsorte am Morgen. Am Freitagabend, dem 2. Festivaltag, saßen die Leute schon da, wenn wir zum Pitch kamen. Wir hatten noch nie so viele klasse Shows hintereinander gespielt und was wir showtechnisch für ein reserviertes Hamburger Publikum entwickelt hatten lief in Linz großartig, bloß dass das Publikum von Anfang an voll dabei war (was anfänglich zu Herzflattern führte, weil wir nicht gewohnt waren, so viel Energie zurückzubekommen). Das Pflasterspektakel war wie ein Rausch und wurde zu einem festen Bestandteil unseres Auftrittskalenders (und das mit der Geldzählmaschine war wirklich praktisch). 1995 waren wir zum 5. Mal in Linz dabei und Mike Dow, ein Zauberer aus London und Festival Stammgast, stellte mir seine neue Show-Partnerin Romany vor und es sprühen die Funken.  Im Herbst 1997 (wir wohnen inzwischen gemeinsam in Hamburg) brechen wir zu einer 5-monatigen Reise um die Welt auf, um unsere gemeinsame Geschlechterkampf-Messerwerf-Comedy Straßenshow „Right between the Eyes“ einzuspielen (siehe K wie Kayelitsha) und beschließen unterwegs unsere Hochzeit auf dem Pflasterspektakel zu feiern. Von der Festivalleitung in Gestalt von Monika Geißbauer ideell und organisatorisch phänomenal unterstützt gelingt es uns unsere Familien und Freunde für die Idee zu begeistern (und kriegen diejenigen, die nicht so viel über unsere Arbeit wissen dazu einen „intensiv-Kurs“ in Sachen Straßenkultur zu belegen), die Kolleg*innen sind sowieso da. Das Lokalfernsehen berichtet, die „Gauklerhochzeit“ schafft es in alle Zeitungen, die Torte und der Sektempfang sind gesponsert und das Unterhaltungsprogram auf der abendlichen Feier ist Weltklasse. Die Zeremonie findet im Schlossgarten statt, mit Blick auf Altstadt und Donau. Es gibt Kreistänze, Segenswünsche der vier Himmelsrichtungen, Acapella-Gesang und einen Sprung über den Besen – Betty und Ian leiten die Eheschließung nach keltischem Ritual. Die Gäste sind aus Deutschland, England, Südafrika, Neuseeland und überall dazwischen, die Kleidung reicht von Anzug bis Dirndl, über Showkostüme bis Lehm-beschmiert. Mike Dow ist eine der Brautjungfern und trägt ein entzückendes Kleid. Danach gibt es eine Prozession, von Trommlern geleitet, den Berg hinab in die Altstadt zum Sektempfang in einem schönen Hinterhof und danach auf den Hauptplatz, wo wir unsere „Hochzeitsshow“ spielen (Aus dem Bild- und Filmmaterial entsteht später unsere gesamte Werbung) und da alle monetären Hochzeitsgeschenke in die Hüte geworfen  werden, kriegen wir den dicksten Hut, den ich je gesehen habe….

Als wir am Montag extrem erschöpft, aber glücklich auf dem Weg in die Flitterwoche (das nächste Festival beginnt in ein paar Tagen) einen Schaden am Wagen haben und eine Werkstatt brauchen, kriegen wir die Reparatur geschenkt – der Meister hatte von der Gauklerhochzeit gehört.

p.s.  Romany (www.romanymagic.com) und ich sind seit dem Herbst 2002 glücklich geschieden. Ihre Biographie „Spun into Gold“ erzählt ihre Version der Geschichte auf Englisch. Das Cobble Comedy Company Promo Video gibt es auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=WK7WVRVJW90

H wie Hisham

Nach meinem ersten Eindruck vom Platz der Gaukler und meiner spontanen Gastrolle in einer Show (siehe D wie Djemaa el Fna) verbrachte ich 3 Tage mit meiner Ex-Frau Romany (siehe G wie Gauklerhochzeit) und half ihr beim Einkaufen auf den Basaren, da sie ihr Haus opulent einrichten wollte und das  marokkanische Innendesign weltweit unübertroffen ist. Abends genossen wir den Platz und ich sprach einen Künstler an, der Englisch sprach und mir versicherte, dass ich am nächsten Abend (nach Romans Abreise) bei der Show mitwirken könnte. Als ich am nächsten Abend mit meinen Requisiten dort auflief, war mein Kontakt nicht da und der junge Marokkaner, der sich als Hisham vorstellte, sprach kein Englisch und auch nur sehr rudimentäres Französisch, das aber etwas besser war als mein Arabisch…. Nichtsdestotrotz entwickelte sich spontan eine künstlerische Zusammenarbeit, die den Beweis erbrachte das Straßenkunst alle Barrieren überwindet. In den folgenden Wochen arbeiteten wir mit einigen Unterbrechungen ungefähr 2 Wochen lang zusammen auf dem Platz der Gaukler und ich hatte das Privileg und die Gelegenheit dieses nicht-materielle Weltkulturerbe der UNESCO von innen heraus zu erleben, zu erforschen und zu genießen. Die Anzahl der glücklichen Umstände, die zu dieser Gelegenheit führten wurde mir erst nach und nach bewusst…. Z.B. dadurch, dass sich nach 3 Wochen herausstellte, dass Auftritte von Ausländern offiziell unerwünscht, bzw. gar verboten sind und normalerweise nur für einen Tag, quasi als touristischer Service, geduldet werden. Das erfuhr ich von einem Sackpfeifenspieler im Innenhof der Polizeipräfektur, nachdem ich 2 Tage lang von Behörde zu Behörde gelaufen war, um schließlich zum 2. Mal bei der ersten vorstellig zu werden. Der Sackpfeifenspieler war aus München und hatte einige Tage bei den Schlangenbeschwörern mitgespielt, bis ihm dies untersagt wurde, ungefähr zur gleichen Zeit in der auch meine Karriere in Marrakesch ein ebenso abruptes wie schmerzhaftes Ende nahm. Der Mann, der bei meinem ersten Vorsprechen wortlos hinter seinem Schreibtisch gesessen hatte, während mir sein Besucher erklärte, dass ich ein anderes Amt aufsuchen müsste, erklärte mir nun seinerseits, dass die marokkanische Straßenkunst-Kultur unverfälscht erhalten werden müsse, weshalb ich leider keine Genehmigung für weitere Auftritte erhalten könne. Als ich enttäuscht und wütend die Präfektur verließ, wurde mir klar an welcher Stelle seines Monologes das Angebot enthalten war für eine zu verhandelnde Summe eine Ausnahme zu erwirken….  Weitere glückliche Umstände gibt es unter I wie „Irgendeine Überleitung, um die Geschichte weiterzuerzählen“….

I wie hIsham

Als wir uns das erste Mal begegnen ist Hisham Anfang 20. Er ist ein guter Akrobat, macht aus dem Stand 5 Schwungüberschläge am Platz und beherrscht das Rola-Bola. Die Jonglierkeulen, die mich dazu bewegt hatten die Gruppe anzusprechen, dienten nur der Dekoration. Ein weiterer glücklicher Umstand, den ich erst Wochen später realisiere ist, dass Hisham nicht Solo spielt. Sein Akrobatikpartner ist aber grade auf Reisen. Andere glückliche Umstände: 1. Hisham trinkt nicht (auf dem Platz trotz islamischem Alkoholtabu nicht selbstverständlich). 2. Hisham ist neugierig, großzügig, ehrlich und abenteuerlustig. Außerdem ist er ein harter Hund. Er wohnt in einem 6 Quadratmeter Raum in den billigeren Bereichen der Altstadt von Marrakesch und kann Sattelitenschüsseln anschließen, die auf den Dachterrassen der Altstadt wie Unkraut wachsen. Er hat wohl eine Ausbildung als Fernsehtechniker, aber der Tageslohn für einfache Angestellte liegt zu der Zeit bei 50 Dirham (ca. 5€) und auf dem Platz kann er mit 100 Dirham rechnen, an Wochenenden mehr. Und wir arbeiten zusammen! Ich verstehe nach und nach mehr von dem was vor sich geht. Einen Kreis aufzubauen ist einfach, einen Kreis abzusammeln ist hohe Kunst. Gesammelt wird immer, bzw. immer wieder und zwar einzelne Dirhams, manchmal Zweier und mehr, sehr selten Scheine. Es gibt einen Mindestbetrag, damit die Show losgeht und dann gibt es Intervalle in denen weitergesammelt wird und es ist mir selten ganz klar, ob die Leute für das bezahlen, was sie gesehen haben, oder für das was kommen soll. Wenn´s zu zäh läuft brechen wir die Show ab, trinken eine Tasse Tee und fangen neu an. Ich habe meinen kleinen Text auf Arabisch und eine Reihe Nummern, die pantomimisch oder mit einigen Sätzen Arabisch funktionieren und Hisham achtet drauf, dass ich nicht zu viel zeige, da ja wieder gesammelt werden muss. Das Publikum bleibt eine halbe Stunde oder die ganze Nacht. Wir treffen uns gegen sieben und machen zwischen 10 und 11 Feierabend. Ich lerne bei welchem Orangensaftstand die Gaslampen verliehen werden, die nach Einbruch der Dunkelheit alle Kreise beleuchten (Lampa kostet 20 Dirham). Als es einmal zu regnen anfängt, gehen wir zum Geld zählen und teilen in den Raum, in dem die Affenführer ihre Tiere über Nacht in kleinen Käfigen unterbringen. Es riecht streng und ist sicherlich nicht artgerecht, aber Tierschutz steht im Überlebenskampf weiter unten auf der

Prioritätenliste und die Affen werden gepflegt, weil räudig wirkende Tiere kein Trinkgeld generieren.  Nach 3 Tagen Shows mit Hisham werde ich kaum noch angekobert, bzw. ich soll nichts mehr kaufen, aber einen Trick soll ich zeigen…. Wir erarbeiten kleine gemeinsame Nummern und es gehört zum Geschäft sich gegenseitig auf den Arm zu nehmen, bzw. aus dem Konzept zu bringen. Einmal lässt mich Hisham zur großen Begeisterung des Publikums auf Arabisch das muslimische Glaubensbekenntnis nachsprechen („Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet“), weshalb ich seitdem offiziell Muslim bin. (Christ bin ich durch das Taufritual, Buddhist, weil ich bei einem Mönch „Zuflucht genommen“ habe und Muslim wird man durch das öffentliche Ablegen des Glaubensbekenntnisses). Außerdem hat er festgestellt, dass er mich gut aus dem Konzept bringen kann wenn er die Sprache auf Hitler bringt (ich weiß nicht genau was er sagt, aber es hat mit Deutschland und Hitler zu tun). Das passiert wiederholt bis zu dem Abend zu dem ich eine kleine Pantomime vorbereitet habe, bei der es um Massenmord, Vergasung und getötete Babys geht. Das wirkt. Feuer ist auf dem Platz der Gaukler verboten, weshalb ich nur mit Bällen, Keulen, Hüten und Diabolo arbeite, aber einen Abend soll ich meine Fackeln mitbringen. Hisham hat jemanden von der Tourismuspolizei bestochen und wir spielen Shows mit Feuerfackeln, was mehr Publikum und mehr Geld einbringt. Am nächsten Tag ist das Geld wohl abgelaufen, denn ein Polizist kommt in den Kreis und es gibt Streit. Der Beamte konfisziert meine Fackeln, aber Hisham läuft ihm nach und kommt mit den Fackeln zurück. Es gibt Spannungen auf dem Platz. Es gibt wohl Kollegen, die meinen dass Hisham durch mich einen unfairen Wettbewerbsvorteil hat…. Auf jeden Fall beschließt dieser, dass wir etwas Security benötigen und leiht sich von einem Nachbarn einen Kampfhund aus. Zweimal in meiner Karriere habe ich erlebt, wie sich ein Publikumskreis schlagartig auflöst. Das erste Mal als ich auf der zugefrorenen Alster spielte und kurz vor dem Finale (ich saß schon auf dem Hochrad, das ging weil Schnee lag, der ein bisschen Reibung brachte) sich mit ominösem Krachen ein Riss im Eis quer über die Alster bildete. Das zweite Mal auf dem Djemaa el Fna als sich eine hungrige Kampfhündin auf einen Gast in der ersten Reihe stürzte, der sie provoziert hatte und ihm seine Jeans zerbiss. Ich schickte jemanden los, dem Hund etwas Futter kaufen und wenig später ging die Show weiter…. Den Hund ließen wir danach wieder zu Hause und die Spannungen mit den Kollegen führten wohl dann dazu, dass meine Laufbahn als Gaukler auf dem Platz ein Ende nahm, aber wenn ich während Hisham am Sammeln war auf dem Boden saß und in den Sternenhimmel guckte, den Rauch der Holzkohlegrills am Ende des Platzes roch und die Musiker aus den benachbarten Kreisen hörte, konnte ich fühlen wie der Platz Jahrhunderte von Straßenkunst atmete. Und wenn ich am anderen Ende der Stadt unterwegs war, um meinen Sprachaustauschpartner zu treffen, kamen mir Leute entgegen, die mich angrinsten und „Aah, Jemaa el Fna!“ riefen. Selbst als ich auf dem Weg zurück nach Spanien einen Bekannten in Rabat besuchte und Marrakesch schon schmerzlich vermisste und der bevorstehende  Abschied von Marokko mich traurig stimmte, brachte mich genau so eine Begegnung wieder in die Gegenwart zurück.

Auf beiden Marokko Reisen mit Lucy Lou und erst einem und dann mit zwei Kindern besuchten wir Marrakesch und ich hatte  Gastauftritte auf dem Platz der Gaukler (Hisham spielte inzwischen mit Hassan zusammen, der Alkohol trinkt) und beim 2. Besuch lud er uns in seine neue Wohnung im Neubaugebiet am Stadtrand ein, wo er mit seiner Frau, dem gemeinsamen Baby und der Schwiegermutter auf über 20 Quadratmetern wohnt und wir aßen gemeinsam Couscous mit Fladenbrot und Huhn (Lucy Lou nur Couscous und Fladenbrot). Ma´a salama.

J wie Jugglingconvention

Das Wort Convention kommt aus dem US Amerikanischen und bedeutet soviel wie Konferenz oder Tagung. Da die US Amerikanische Jonglierlandschaft früher organisiert war als die Europäische wird der Begriff noch immer verwendet. Festival wäre allerdings passender!

Anfang September 1985 sind Majhab und ich als Mitfahrer unterwegs nach Brüssel zu unserer ersten Convention. Wir jonglieren seit einem knappen Jahr und haben unsere ersten Straßenauftritte auf der Spitaler Straße hinter uns. Im Mai hatten wir das erste Mal von einem Jonglierfestival gehört, als eine Frankfurter Gruppe auf der Reise zur Nordic Juggling Convention nach Kopenhagen ebenda eine Straßenshow gespielt hatte. Nun also das 8. Europäische Treffen. Als wir endlich auf dem Veranstaltungsgelände ankommen laufe ich zur Sporthalle, die im Eingangsbereich eine Galerie hat von der man in die Halle herabsehen kann und mir bleibt die Luft weg! Hunderte von Menschen, die zum Spaß Dinge in die Luft werfen. 800 Menschen sind dabei, inklusive eines russischen Jongleurs mit Trainer, der auf einer freistehenden Leiter balancierend 5 Keulen mit Variationen jongliert und eines Italieners, der von einem Flötisten begleitet 7 Gummibälle auf einer Marmorplatte dotzen lässt. Es gibt einen Umzug in die Innenstadt mit Jonglier-Spielen auf dem Hauptplatz und eine  Gala-Show in der Turnhalle.  Bis 1993 sind wir mit 2 Ausnahmen bei allen Europäischen Festivals dabei. 1987 in Saintes/Frankreich finden die Spiele in einer römischen Arena statt und ich verpasse knapp den Einzug in das Finale der Einradrennen auf dem ehemaligen Wagenparcours. 1989 in Maastricht/Holland findet die Gala-Show auf einer schwimmenden Bühne statt und Heinz steigt in einen Riesenluftballon und geht zu Wasser…. 1993 in Verona/Italien spielen wir unsere Straßenshow nach den Spielen vor der Arena, denn Majhab hat inzwischen genug Italienisch gelernt. Danach reise ich weiter nach Tibilisi/Georgien, wo im zweitältesten Zirkusgebäude der Sowjetunion ein weiteres internationales Jonglierfestival stattfindet…. Wir reisen außerdem zu vielen der kleineren Festivals in Deutschland und zu den Nordic Conventions in Dänemark. 1994 merken wir dann, dass es ökonomisch für professionelle Auftrittskünstler Sinn macht in der Hauptsaison Auftritte anzunehmen, statt zum Vergnügen quer durch Europa zu reisen. 1988 fahre ich im Februar allerdings auch zum ersten Mal zum Hawaiian Vaudeville Festival nach Kalani Honua in Kalapana, Big Island, Hawaii, aber das ist eine andere Geschichte.

K wie Kayelithsa

Im November 1997 brechen Romany und ich zu einer Weltreise auf. Wir wollen unsere neue Show einspielen (siehe G) und den Winter in Hamburg verpassen. Wir haben ein Flugticket nach Südafrika, Australien, Neuseeland, Hawaii und Kalifornien, für jeweils einen Monat.

Unser Erster Flug geht nach Johannesburg. Garth, ein Jongleur, den ich über die Jonglierzeitung „Kaskade“ kontaktiert hatte, holt uns vom Flughafen ab, beherbergt uns in seinem Gästezimmer und leiht uns seinen alten Golf, um zum Safaripark zu fahren. Wir reisen mit der Bahn über Durban nach Kapstadt, wohnen dort im Hostel und spielen unsere Show an der „Waterfront“, einem Shopping- und Tourismus-Zentrum.  Das „Truth and Reconciliation Comitee“ arbeitet auf Hochtouren, um das Trauma des Apartheid-Regimes aufzuarbeiten und die Zeitungen berichten täglich davon. Kriminalität und häusliche Gewalt sind verbreitet und auch in den Tourismusarealen ist die Armut deutlich zu bemerken. Nicola, eine Freundin, die in einem Ausbildungs- und Qualifizierungsprojekt für schwarze Frauen arbeitet, vermittelt uns einen Kontakt zu einer Sozialarbeiterin. Ich hinterlasse am Wochenende eine Nachricht: „Hallo, wir sind Straßenkünstler aus England und Deutschland und sind eine Woche lang für Touristen an der „Waterfont“ aufgetreten. Wir würden gerne auch für Menschen in den Townships spielen – ließe sich das arrangieren?  Und zwar möglichst am Montag, da am Dienstag unser Zug nach Johannesburg abfährt…“. Am Sonntagabend erhalten wir die Nachricht, dass wir Montagmorgen abgeholt würden. Wir sollen unsere Requisiten mitbringen. Am Treffpunkt lädt die Sozialarbeiterin uns und unsere Showsachen in Ihren Kleinwagen und fährt uns nach Kurtis Town, einer kleinen Township für „Farbige“  (eine der durch das Apartheidregime definierten Gruppen der Unterdrückten – Blacks/Coloureds/Indians). Ca. 200 Schülerinnen und Schüler sitzen auf dem Schulhof ordentlich im Halbkreis auf dem Boden und schauen begeistert zu. Wir zeigen Ausschnitte aus unseren Soloprogrammen, da wir die Messerwurf-Show für unpassend befanden. Die 2. Vorstellung findet in einer Schule in Kayelitsha statt, der größten Township Kapstadts. Die Verwandten von Nicola, alles liberale Weiße, hatten uns bei einem gemeinsamen Abendessen gewarnt, wie gefährlich diese Townships für Weiße sein können…. Wir merken überhaupt nichts davon – hier sind es ungefähr 500 Zuschauer*ìnnen, die Schule ist ärmer und das Publikum lebhafter und genauso freudvoll und begeistert. Nach dem Abschlussapplaus und den Dankesworten der Direktorin heben alle Kinder ihre Plastikstühle auf den Kopf und gehen über den Schulhof davon in ihre Klassenräume.

Nach getaner Arbeit fährt uns unsere Betreuerin noch in ihre Arbeitsstelle, die Telefonhilfe für Opfer häuslicher Gewalt und führt uns herum. Dies ist auf den ersten Eindruck kein fröhlicher Ort. Die Frauen in den Büros wirken bedrückt, aber sie begrüßen uns freundlich und sind sehr interessiert. Romany beginnt einige Close-Up Zauberkunststücke vorzuführen und den überraschten Zuschauerinnen fällt die Kinnlade herunter. Als wir schließlich gehen werden wir unter fröhlichem Gelächter verabschiedet….

L wie Loon (T.R.)

T.R. Loon (ausgeschrieben Truly Remarkable Loon, so steht es auch in seinem Reisepass) ist ein Jongleur und Clown aus Wisconsin. Er hat einen langen Zopf, einen Walross-Schnurrbart und kleidet sich ausschließlich in lila. Loon ist der Reiseführer meiner ersten Rundfahrt um die große Insel/Big Island von Hawaii im Februar 1988. Wir sind zu acht in einem gemieteten Kleinbus unterwegs und schwimmen unter Wasserfällen, springen aus Höhlen in den Pazifik, beobachten Buckelwale, schnorcheln mit Meeresschildkröten, wandern durch subtropischen Regenwald, essen Mangos, Avocados, Papayas, Kokosnüsse und Passionsfrüchte frisch vom Baum, body-surfen an weißen Stränden und jonglieren auf schwarzen (unter anderem mit Kokosnüssen)…. Dies alles im Anschluss an eine Woche Jonglierfestival (the 4th annual Hawaiian Vaudeville Festival) in Kalani Honua („Himmel und Erde“ auf Hawaiianisch) unweit von Bellyacres, einem Wohnprojekt von Auftrittskünstler*innen auf den Kalapana Seaview Estates.

Aber erstmal von vorn: Anfang Januar 1988 bin ich zu Besuch bei meiner Mutter in Harsefeld und liege in der Badewanne (meine 1 Zimmer Wohnung in Harburg hat kein Bad). Ich lese in der Jonglierzeitschrift Kaskade und stoße auf einen Artikel, der mich unglaublich fasziniert: ein gewisser Graham Ellis berichtet über eine Gruppe Jongleur*innen, die sich gemeinsam ein Stück Land an der Südküste von Hawaii gekauft haben und dort roden und Hütten bauen und einmal im Jahr ein Festival veranstalten. Es ist die Rede von Lava, die in den Ozean fließt und die Insel täglich wachsen lässt, von Buckelwalen und Delphinen mit denen man im freien Wasser schwimmen kann und von Sonne, Jonglieren am Strand und Musik am Lagerfeuer. Ich genieße das warme Wasser und träume, als es mich plötzlich trifft wie ein Schlag – ich könnte hinfahren! Ich hatte von meiner Großtante etwas Geld geerbt und es sind Semesterferien. Eine Woche Später habe ich die Flüge gebucht und 3 Wochen später bringt Majhab mich um 6.00 morgens zum Hamburger Flughafen und um 23.00 Uhr Ortszeit lande ich 28 Stunden später in Honolulu auf Oahu/Hawaii. Ich übernachte in einem Backpackers Hostel an der Nordküste und werde am nächsten Morgen wieder zum Flughafen gebracht,  um mit einem kleinen Flieger von Aloha Airlines nach Hilo auf der südlichsten Insel Big Island zu reisen. Per Anhalter geht es  nach Pahoa, wo die Postfach Adresse der Jongleure angegeben ist und frage in Läden nach dem Festival und bekomme schließlich den Tipp in Kalani Honua anzurufen, ein Konferenz- und Ferienzentrum 20 Kilometer südlich. Mein großzügiger Fahrer bringt mich noch direkt bis vor die Tür und ich gehe mit meinem Rucksack auf das Gelände und sehe die Lichter des Veranstaltungs-Pavillons (es ist inzwischen schon wieder dunkel), wo bunt gekleidete Menschen bei Live-Musik glitzernde Sachen in die Luft werfen. Wieder einmal geht es um Liebe auf den ersten Blick und um eine lange „Beziehung“… mehr dazu unter M wie Mahalo (Danke).

M wie Mahalo (Danke)!

Das bekannteste Wort der hawaiianischen Sprach, die sich durch die Übermacht der Vokale auszeichnet, ist sicherlich Aloha (Hallo, Willkommen, Tschüss, Liebe). Das Anekdotischste der Name des „Staatsfisches“: Humuhumunukunukuapua´a“ (auf Englisch „Little-Reef-Triggerfish“) – Adjektive werden durch Verdopplung gesteigert. So sind denn auch die Ortsnamen immer wieder hörenswert und häufig in der Übersetzung poetisch. Der Krater des erloschenen Vulkans auf der Insel Maui (nach dem gleichnamigen Gott) heißt Haleakela (Haus der Sonne). Einer der schönsten historischen Parks auf Big Island „Pu´uhonua O Ho´naunau“ und die Passionsfrucht wird Lilikoi genannt. Andere Früchte und Gemüse die es im Überfluss gibt sind Mangos, Avocados, Papayas, Bananen, Kokosnüsse, Macadamianüsse, Brotfrüchte und noch so Einiges bei dem ich den deutschen Namen nicht weiß.

Zwischen 1988 und 2003 bin ich ein rundes Dutzend Mal zwischen 3 und 8 Wochen auf Hawaii, bereise und erforsche alle erreichbaren Inseln und genieße die Fülle, die Wildnis und die spirituelle Intensität, die sich mir dort offenbart. Ich treffe viele der besten Jongleure und Auftrittskünstler der alternativen US-Amerikanischen und internationalen Szene, die ich dann häufig in anderen Teilen der Welt wiedertreffe, oder vorher schon getroffen hatte. Die Shows des Festival sind (wie ich im Nachhinein feststelle) von enormer Qualität und ich bin fast immer dabei und mache nie 2 Mal das Gleiche.

Meinen Einstieg auf Maui finde ich durch ein Tai Chi Seminar mit Großmeister William Chen, an dem ich wiederholt teilnehme, den Lehrer durch Showeinlagen als Fan gewinne und die lokale Tai Chi Szene kennenlerne. Auf Maui wandere ich auch immer wieder in und durch den Krater des Haleakela, der einer Mondlandschaft gleicht und in dem man seinen eigenen Herzschlag hört. Auf Big Island ist die intensivste Naturerfahrung die Wanderung durch das Waipio-Valley ins Waimanu Valley, wo es sich ohne große Mühe von Flusskrebsen, Muscheln, Früchten und Nüssen leben lässt. Wobei die Intensität möglicherweise in direkter Konkurrenz steht zum Schnorcheln und Tauchen mit wilden Delphinen und dem Belauschen der Gesänge der Buckelwale und Begegnungen mit ihnen im Wasser….

Und wenn sich dieser Bericht arg nach Prahlerei anhört, so liegt das daran, dass die Erinnerung an die Fülle des Erlebten nur dann wirklich lebendig wird, wenn ich mir erlauben kann die Sehnsucht nach dem Ort zu spüren, oder wenn ich die gleiche innere Weite erreiche, die dort nahezu alltäglich schien. Mein ehemaliger Mitbewohner Andreas reist in einem Jahr, in dem ich es nicht kann, mit seiner Frau nach Hawaii, mit einem Haufen Tipps und Kartenmaterial von mir. Auf der Postkarte, die ich von Ihnen bekomme steht nur „Es ist hier wirklich so schön, wie du es erinnerst!“….

(p.s. Ein 43 Minuten Video vom Festival auf Hawaii 1988: https://www.youtube.com/watch?v=0q2v7hR7bo0 )

N wie New Orleans

Nach Beendigung meines Zivildienstes reise ich im Sommer 1986 für 2 Monate nach USA. Ich habe ein Flugticket von Brüssel nach New York und zurück, einige Adressen von Leuten, die ich zu Hause oder auf Reisen kennengelernt hatte, ein schmales Budget und einen Rucksack mit Zelt, Matte und Schlafsack, sowie Jonglier-Requisiten und ein kleines Einrad dabei. Ich male mir ein Schild mit der Aufschrift „Traveling the US from Germany“ und fahre per Anhalter quer durch die Staaten, von New York nach Maine, Boston, Niagara Falls, Chicago, St. Louis, New Orleans, Dallas, Santa Fe, Grand Canyon, Los Angeles, San Francisco und von dort mit dem Flieger von „People´s Express“ zurück nach New York.

Meine erste Solo-Straßenshow spiele ich in Brüssel, die zweite in Faneuil Hall in Boston, historisches Gebäude mit Markt und Restaurants und Straßenkunstort. Als ich ankomme sind 2 Kolleg*innen grade fertig und bieten mir an „ihre Auftrittszeit“ zu Ende zu spielen (Benji und seine Partnerin treffe ich knapp 2 Jahre später auf Hawaii wieder). Danach gehe ich zum Marktbüro – das Gelände ist privat und man muss sich zum Spielen anmelden…. Der folgende Dialog hat sich mir eingeprägt: „Guten Tag, mein Name ist Martin und ich bin Straßenkünstler aus Deutschland auf der Durchreise und würde gerne hier auftreten.“ „Da müssen sie erst ihre Show einmal vorspielen.“ „Prima, wann kann ich das machen?“ „Im Frühling.“ In den USA sind (wie auch in Covent Garden, London) viele der Auftrittsorte im öffentlichen Raum in Privatbesitz und streng reguliert, was mir zu der Zeit noch völlig fremd ist. Ich erfahre, dass man im Univiertel am Cambridge Square frei spielen kann und tue das auch. In St. Louis gerate ich in ein „German Straßenfest“ spiele meine Show, werde von den Veranstaltern aufgehalten und verhandele ein Spontan-Engagement mit Hotelübernachtung. Nach New Orleans trampe ich das letzte Stück mit einem Polizisten, der mich bei der Jugendherberge abliefert und erfahre, dass der Jackson Square ein frei bespielbarer Auftrittsort ist. Ich freunde mich mit 2 lokalen Straßenkünstlern an, lerne sehr viel und bleibe eine ganze Woche. Meine Hut-Einnahmen decken die Reisekosten lange nicht und zugängliche Auftrittsorte sind rar gesät. Eine Show, die erste der Reise, spiele ich auf einem Campingplatz und einmal in einer Schule in Santa Fe, organisiert von Freunden, die ich besuche. In Los Angeles übernachte ich am Strand von Venice Beach (gegen 3 Uhr morgens werde ich aus einem Polizeihelikopter mit Scheinwerfer angeleuchtet – es gab in der Nähe eine Messerstecherei) und versuche am nächsten Tag mein Glück mit der Show, allerdings vergeblich: es war grad ein verlängertes Ferienwochenende und dienstags ist dann nichts los. In San Francisco ist der Pier 39 unzugänglich wie Fanueil Hall. In einer anderen Shopping Mall darf ich dann auftreten, aber das Publikum ist spärlich und die Einnahmen ebenso. Ich freunde mich mit „Markus Markoni“ an, der auf dem Pier spielt und mit dem ich in späteren Jahren in Deutschland und der Schweiz unterwegs bin und der legendär Keulen passen kann…. Ironischerweise stelle ich fest, dass die Auftrittsbedingungen am Cambridge Square die Besten waren! Als ich dann in San Francisco zum Flughafen will, um zu meiner letzten Etappe zu Freunden nach New Jersey zu reisen, reicht das Geld für den Airport Shuttle nicht und ich komme schließlich mit dem Linienbus grade noch rechtzeitig zum Check-in. Die zusätzliche Gepäckgebühr für das Einrad spendiert ein Mann der hinter mir in der Schlange steht.

Mary und Don holen mich vom Flughafen ab, beherbergen mich und leihen mir Geld. Ich habe Zeit mich auszuruhen und zu sammeln. Einen Tag fahre ich dann noch nach New York City und verhandele mit dem Park Security Mann im Washington Square Garden, dass ich auch dort eine Show versuchen darf („…if you can make it there, you´ll make it everywhere!“) und das hat dann ja offensichtlich sehr gut geklappt.             

O wie Ooosnabrück (in drei Teilen)

1) Ich bin Mitte Zwanzig, Hamburger und Osnabrück ist mir als Ziel einer Klassenwanderung durch das Wiehengebirge aus der 10 Klasse bekannt, ansonsten bedeutungslos. Nun sitze ich mit den 3 Kollegen von „Harakeuli“ im Auto und soll auf einer Sparkasseneröffnung als Teil einer größeren Unterhaltungsaktion meine Show spielen. Ich wundere mich, wie lange die Fahrt dauert, denn ich hatte Osnabrück als Norddeutsch eingeordnet…. Die meisten Engagements spiele ich im Duo mit Majhab, aber seit meiner USA-Tour (siehe N wie New Orleans) auch gelegentlich Solo. Und die Fahrt mit den Kollegen ist denn auch das Einzige, was mir in Erinnerung geblieben ist, was darauf hinweist, dass der Auftritt erfolgreich und ohne besondere Vorkommnisse verlaufen ist. Nein, es gibt noch etwas Anderes in der Erinnerung: die Gage war für damalige Verhältnisse recht hoch….

2) Ich bin Anfang Vierzig und habe meinen Lebensmittelpunkt im Sommer 2006 nach 8 Jahren in England und den USA wieder nach Hamburg verlegt. Nachdem ich die letzten 3 Jahre viel als Psychologe im Kommunikationsbereich mit dem „Compassionate Listening Projekt“ und dem „Opening oft the Heart“ Projekt gearbeitet hatte, bin ich nach einigen Wirrungen wieder Vollzeit- Auftrittskünstler. Dadurch ergeben sich Begegnungen mit Lucy Lou, der einzigen Solo-Straßenkunst-Frau in Norddeutschland. Unsere Wege hatten sich schon einige Male gekreuzt, jedoch eher flüchtig. Sie wohnt seit einigen Jahren in Hamburg und wir spielen abwechselnd unsere Shows auf dem Rathausmarkt und probieren andere Plätze. Sie schlägt vor zum Westfalentag nach Osnabrück zu fahren, da man dort gut spielen könne und bietet mir die Mitfahrt in ihrem selbst-ausgebauten Wohnmobil an. Die Spielbedingungen sind trotz der Konkurrenz durch die Fußball WM in Ordnung und das Wohnmobil ist enorm praktisch – ein Wort ergibt das Andere und wir reisen seitdem gemeinsam. Auch immer wieder nach Osnabrück, wo „Psycho Heiko“, ein lieber Kollege von uns, ein Haus hat. Wir spielen leidenschaftlich Karten und Minigolf und das Wohnmobil wird zusehends voller….

3) Ich bin Mitte fünfzig, wohne seit 12 Jahren mit meiner Familie in einer Land-WG im südlichen Schleswig-Holstein und das Wohnmobil (inzwischen ein etwas Größeres) steht vor der Tür. Wir reisen immer noch gemeinsam, bauen ein Kulturprojekt auf und spielen seit nunmehr 4 Jahren auch gemeinsam eine Show mit unseren 3 Kindern. „Kalumalu Hepajo“, das reisende Familienstrassenzirkusshowperformanceprojekt (KAmMAnn/LUcy LoU/HEnriette/PAula/JOnte). Der Lockdown geht langsam zu Ende und wir  haben im Kulturhof bereits das erste Gartenkonzert organisiert, weil irgendjemand muss es ja tun, denn Life-Kultur ist systemrelevant…. Alle geplanten Festivals werden verschoben oder abgesagt oder beides und nur wenige engagierte Menschen planen „Corona-kompatible“ Veranstaltungen. Zum Glück kennen wir einige davon und fahren deshalb Anfang Juli nach Osnabrück, wo wir am 2.7.20 gemeinsam mit dem Akrobatik Duo „elabö“ beim Plan B Festival „Kalumalu Hepajo“ zum ersten Mal in der Saison zur Aufführung bringen. Sehr erfolgreich, sehr emotional, sehr notwendig. Am nächsten Tag geht es in Mühlheim weiter und ab Mitte Juli tingeln wir wieder „auf Hut“ durch die Republik und leisten unseren Beitrag zur kulturellen Grundversorgung!

P wie Prag

Juli 1993 – Majhab und ich sind zum 3. Mal unterwegs zum Pflasterspektakel in Linz. Diesmal fahren wir über die Tschechoslowakei und machen einen Zwischenstopp in Prag. Die Stadt vibriert voller Energie, ähnlich wie Berlin nach der Wiedervereinigung. Alles ist voller Touristen und voller Möglichkeiten. Vaclak Havel ist Präsident – ein Schriftsteller, ein Künstler, ein Widerstandskämpfer, Mitinitiator der samtenen Revolution. Es gibt Jugendstil-Cafes in denen Beatles Lieder laufen und es riecht nach Freiheit und Abenteuer. Das Wetter ist schön und alle Welt ist auf den Straßen unterwegs. Wir sind jung und wild und mittendrin. Natürlich wollen wir hier eine Straßenshow spielen, natürlich wissen wir nichts über die Legalitäten, aber es scheint so, als ob alles möglich ist!

Wir holen unsere Requisiten (2 Koffer, 2 Einräder, keine Verstärkung – es ist noch die Zeit der lauten Stimmen) und bauen mitten in der Altstadt auf dem Platz vor dem historischen Rathaus auf. Im Nu haben wir einen großen Kreis aufgebaut. Wir spielen unsere Show auf Englisch mit etwas Deutsch, das Publikum ist zu zwei Dritteln aus dem Ausland und alle finden es großartig hier und jetzt eine Straßenshow zu erleben. Die Vorbereitung, der Kreisaufbau und die erste Keulen-Passing-Nummer laufen wie geschmiert, wir amüsieren uns köstlich und leiten das Finale ein indem wir unsere Hocheinräder präsentieren und die Feuerfackeln an zwei Freiwillige im Publikum verteilen. Da tauchen 2 Polizisten auf und drängen sich durch die Publikumsreihen nach vorne – Nein, sie sprechen kein Englisch…einige junge Prager übersetzen, es geht dem Anschein nach um die Nachtruhe, es ist kurz nach Zehn, das Publikum beginnt ob der Unterbrechung zu buhen, die beiden Beamten wirken verunsichert, wir versichern, dass wir in 10 Minuten mit der Vorstellung fertig sind, die beiden Polizisten ziehen sich zurück, das Publikum, inzwischen sind es ca. 300 Menschen, jubelt!

Ca. zehn Minuten später sitzen wir auf unseren Hocheinrädern und haben die Feuerfackeln in den Händen, sind dabei sie anzuzünden, um sie in 2 Metern Höhen hin und her zu werfen und sehen von unseren Aussichtspunkten, dass die Polizisten offensichtlich Verstärkung angefordert haben. Im Rücken unseres Publikumskreises fahren 3 Polizeiautos auf den Platz (es sind Ladas oder etwas Ähnliches…) eine Gruppe von ca. 10 Polizisten sammelt sich, aus irgendwelchen Gründen erscheinen vor meinem inneren Auge Bilder von feuchten Verließen und schummrigen Verhörzimmern. Majhab geht es, wie ich später erfahre, ganz ähnlich. Die Fackeln brennen, es gibt kein zurück! Es gelingt uns das technische Finale trotz erhöhtem Spannungsniveau fehlerfrei zu zeigen, wir springen von den Rädern, die Fackeln in der Hand, das Publikum ist begeistert. Die Polizisten drängen sich in den Kreis, unsere jungen Unterstützer versuchen sie zu bremsen und zu diskutieren, wir rufen, dass wir quasi am Ende sind (wollen aber wirklich noch gerne in Ruhe mit den Hüten unsere Gage einsammeln) die Zuschauer*innen johlen und jubeln immer lauter und zeigen keine Anzeichen der Ermüdung, die Ordnungshüter sind entschlossen und verwirrt und überfordert. (Mir ist bewusst, dass ein Großteil unseres Publikums, würden wir unsere Show in Ihrer Straße spielen, auch die Polizei riefen).

Ich nehme alles zusammen, was mir noch an Stimme und Kraft geblieben ist und schreie über den Lärm des Publikums: „This is a Streetshow – not a Revolution!!!“ (Dies ist eine Straßenshow und keine Revolution!)

Es wird leiser. Unsere spontane lokale Hilfstruppe überzeugt die Polizei davon, dass die Situation nicht mehr bedrohlich ist und wir sagen unseren Sammelspruch und lassen uns die Hüte füllen. Das Publikum zerstreut sich, die jungen Menschen, die uns unterstützt haben bleiben noch etwas und erzählen uns von ihrem Leben in Prag und von der samtenen Revolution. Wir sind erschöpft und glücklich. Vielleicht hatte ich Unrecht vielleicht ist jede Straßenshow ein bisschen Revolution….

Q wie Québec City (Festival d´Eté)

Im Winter 1998/1999 wohnen ich und Romany in einer Mini-Einliegerwohnung in Shepperd´s Bush, London, sind knapp bei Kasse und auf der Suche nach Auftritten. Aus dem Filmmaterial von unserer Hochzeitsshow in Linz (siehe G wie Gauklerhochzeit) lassen wir ein Werbevideo für unsere Duo-Show „Right between the Eyes“ zusammenschneiden und verschicken es per Post an internationale Festivals (es war im vorigen Jahrtausend, da hat man das so gemacht!).

Wir hatten uns in Kanada für eine ganze Festival-Tour beworben; da der Kanadische Sommer kurz ist werden im Juli und August überall Kultur- und Musikfestivals Open Air gefeiert und viele Kollegen waren dort 4 Wochen am Stück unterwegs.  Eine Anfrage kam dann vom Sommerfestival in Quebec City – ein Wochenende, Antrittsgeld, Reisekosten und Hutgeld und die Show auf Französisch!  

Air Canada ist Sponsor des Festivals und wir fliegen von London nach Montreal, das Gepäck besteht überwiegend aus den Requisiten. Wir bleiben eine Nacht in einem wunderschönen privaten Hostel und werden per Auto abgeholt und die 270 km nach Quebec City gebracht. Die Stadt ist malerisch mit einer wunderschönen Altstadt und alle sind auf den Beinen. Das Festival dÉté ist das größte Outdoor Musik Festival in Canada und läuft über 10 Tage. Wir sind am Abschlusswochenende  mit einigen anderen internationalen Straßenshow Kollegen und Kolleginnen als Rahmenprogramm engagiert. Das Publikum ist aufgeschlossen und begeisterungsfähig und die französische Version unserer Messerwurf-Comedy-Geschlechterdrama-Show läuft recht gut (nach 6 Auftritten sind wir am Ende gut im Fluss…). Natürlich sind die Bewohner*innen vom Bundesstaat Québec 2-sprachig, aber es wird großer Wert darauf gelegt, dass Französisch die erste Sprach in der Region ist.

Unsere Show handelt von einem egomanischen Messerwerfer, der sich mit seiner glamourösen Assistentin (die sich für die Hauptperson hält) überwirft, was dazu führt dass ein Mann aus dem Publikum als „Zielscheibe“ rekrutiert werden muss und die Assistentin das Messerwerfen übernimmt. Am Ende wird der „Freiwillige“ zum Helden und mit einem Feuertanz geehrt. Ein Eskalationspunkt des Konfliktes entsteht , als ich meiner Assistentin, die in diesem Moment auf meinen Schultern steht, vorwerfe zu schwer zu sein („komm runter, schnell/get off me…“  „Warum/why?“  „you´re too heavy/du bist zu schwer!“). In der französischen Variante ergibt sich die eleganteste Version: „ a cause du poid!“ (Auf Grunde des Gewichtes).

Am Montag sitzen wir bereits wieder im Auto und werden zum Flughafen nach Montreal gefahren. Nach 6 Tagen sitzen wir leicht verwirrt, aber erfüllt und mit Jet-Lag wieder in unserem BedSit in London….

Ein schönes Foto aus Québec City findet sich auf meiner Webseite www.kammannmachtspass.de und das Werbungsvideo ist auf YouTube unter folgendem Link zu sehen, da ein Kollege seine Videosammlung digitalisiert hat: https://www.youtube.com/watch?v=WK7WVRVJW90. Andere Rückmeldungen auf unsere Versandaktion kam übrigens aus Fukuoka/Japan und aus Halifax/Canada, aber das sind zwei andere Geschichten (siehe W wie Wasserspiele und R wie River Busker Festival).

R wie River Buskers Festival (Singapur)

Das Singapore River Buskers Festival wird in Kooperation mit dem Halifax Busking Festival veranstaltet und während das Festival in Halifax nicht an unserer Duo-Show interessiert war, so fragen sie doch wegen eines Auftrittes in Singapur an. Es geht um 10 Tage im November, was in unseren Breiten auf jeden Fall schon in die Off-Saison fällt und es geht um meine Solo-Show, wohl auch weil die meisten der anderen Künstler und Künstlerinnen aus England, Kanada und den USA kommen und ich somit einen gewissen Exotenstatus mitbringe.

Ich fliege aus organisatorischen Gründen von Hamburg nach London, wo ich am Flughafen die anderen britischen Kolleg*innen treffe und wir fliegen mit Emirates Airlines über Dubai nach Singapur. Wir sind circa 10 Leute, die mit Requisiten einchecken und die Zoll- und Passkontrollen durchlaufen. Es ist recht kurzweilig. Beim Zwischenstopp in Dubai gewinne ich eine Partie Backgammon gegen den Champion der Gruppe und damit einige Prestigepunkte.

In Singapur angekommen werden wir abgeholt, ins Hotel gebracht und abends in einem Restaurant zum Willkommensessen eingeladen. Die Gagen halten sich in Grenzen, aber der Service ist großartig. Hier sind nun auch die Kollegen aus den USA und Kanada dabei, einige von Ihnen sind schon früher beim Festival gewesen und es gibt eine inoffizielle Eröffnungsshow.

Ich bin zum ersten Mal in den Tropen und lerne Neues: z.B. dass ich nicht genug Auftrittshemden dabei habe – normalerweise komme ich mit 3 Stück aus, die sind jedoch nach der Show so durchgeschwitzt, dass ich keines 2 mal anziehen kann und sie trocknen auch nicht unbedingt zum nächsten Morgen durch…. Außerdem weist mich ein Kollege darauf hin, dass ich wohl schneller abkühle, wenn ich nach der Show meinen Zylinderhut abnehme, da die Kopfhaut für den Temperatur-Ausgleich eine große Rolle spielt. Die tagsüber Shows sind tendenziell anstrengend und die Abend/Nacht Shows fantastisch. Einen Abend packen uns die Freiwilligen nach der letzten Show gegen 23.00 Uhr in VW-Busse und fahren uns zu einem traditionellen Food-Court, wo man sich an den kleinen Küchenbuden sein Essen zusammenbestellt (Fisch hier, Fleisch da, Getränke woanders) und dann im zentralen Bereich an Tischen zusammen verspeist. Gegen ein Uhr Nachts esse ich unter sternklarem Himmel bei lauen Temperaturen einen Riesenkrebs in grüner Currysauce und das ist eine der leckersten Mahlzeiten in meiner Erinnerung.

Singapur ist ein Stadtstaat mit einem recht autoritären System, in dem man für Ordnungswidrigkeiten Stockhiebe kassieren kann und für Drogendelikte lebenslänglich. Es ist nicht ganz leicht die Menschen dazu zu bringen sich zu entspannen und einfach nur Spaß zu haben. Einmal werde ich mit einem amerikanischen Zauberkünstler zusammen in ein Einkaufszentrum in einem Außenbezirk gefahren, wo es River Busker Satellitenshows geben soll. Während ich meine Show vorbereite und den Kreis aufbaue fängt ein Security Mann an das Publikum am Kreidekreis wegzuschubsen! Ich bringe ihn dazu aufzuhören und als ich dann beim weiteren Aufbauen seinen Kollegen clownesk in Bedrängnis bringe, habe ich die Menschen auf meiner Seite….

Beim Strandausflug finden wir beim Akrobatik üben sehr viel Teer im Sand, die Schifffahrtsrouten vor Singapur sind enorm frequentiert und als ich mit einem Kajak den mit Schwimmbarrieren eingefassten Bereich verlasse erkenne ich , dass die Barrieren wohl nicht vor Haien schützen sollen, sondern vor noch mehr Öl und Teer.

Der Cirque du Soleil ist auf der Insel und die kanadischen Kollegen kennen einige Zirkusartisten, die uns im Hotel besuchen und uns für den nächsten Tag in die Nachmittagsvorstellung einladen, so dass ich zum 2. Mal in den Genuss von „Saltimbanco“ komme. Leider muss ich mit Peter früher weg, wegen dem oben erwähnten Einkaufszentrum.

Die Show an die ich mich noch am besten erinnern kann spiele ich spät abends auf dem schönsten Platz am Fluss, einem kleinen Amphitheater, im vollen Kreis. Auch wenn die Menschen, ob der autoritären Stimmung etwas angespannt sind, sie lieben kleine Kinder über alles und diese laufen zu allen Zeiten unbeschwert herum. Ein besonders niedliches Exemplar mitten in meine Show herein und ich spiele mit ihr und sie mit mir und man kann quasi hören, wie die Herzen aufgehen und alle im Publikum ausnahmslos bei uns sind. Wahrscheinlich hat dieses Erlebnis auch dazu beigetragen, dass der Krebs so köstlich war.

S wie Silvester 1989

Die Wiedervereinigung erlebe ich in meiner ersten 3er WG in Hamburg Eimsbüttel. Ich wohne als Straßenkünstler und angehender Psychologe mit 2 angehenden Medizinern zusammen. Sönke und Andreas wollen zu einer Silvester Party nach Berlin und fragen, ob ich mitkomme. Aber Hallo! komme ich mit. Wir packen unseren Backbeerenmus in den geräumigen Kofferraum von Andreas altem Peugeot und weil die Grenze von West nach Ost schon früher als angekündigt geöffnet ist fahren wir nicht über die Transitstrecke nach Berlin, sondern nehmen die Landstraße und machen einen Stopp in Schwerin. Es ist kalt und diesig, auch weil anscheinend sämtliche Häuser mit Kohleöfen geheizt werden. Die Stimmung ist surreal.

Die Party ist in einer großen WG mit 4 Meter hohen Decken und gegen 23.00 Uhr machen wir uns auf den Weg zu Mauer. Wir gehen zu Fuß und an der Straße des 17. Juni wird es drängelig. In der Ferne sehen wir, dass die Mauer vor dem Brandenburger Tor voll mit Menschen ist. Ich packe meine Feuerfackeln aus und jongliere ein bisschen und es fällt kaum auf, die Party rauscht und tobt, ich glaube 24.00 Uhr war auch recht unauffällig im Vergleich zur Begeisterung im Zentrum vom vereinigten Berlin zu sein. Wir strömen durch den offenen Übergang auf die andere Seite der Mauer. Viele klettern mit Räuberleitern hoch und runter und hin und her. Am Brandenburger Tor steht ein Baugerüst, das schon von einigen Menschen als Kletterhilfe genutzt wurde, aber nun stehen Volkspolizisten davor hindern das Partyvolk (wohl aus Sicherheitsbedenken) daran. Ein junger Mann schreit einen Uniformierten an „Wer gibt Dir den Auftrag?!“. Auf der Hinterseite des Tores ist in einer Ecke ein Blitzableiter und Leute versuchen daran auf das Bauwerk zu klettern. Ich stelle mich in die Schlange, meinen Fackelbeutel auf dem Rücken. Es geht recht schnell voran – die Meisten geben auf, aber ich bin jung und fit und hochmotiviert und es gelingt mir mich an dem Metallleiter festhaltend die Wand empor zu laufen. Links neben dem Pferdegespann lade ich meine Feuerfackeln, suche mir einen sicheren Stand und werfe zur Feier des Tages, des Jahres, des historischen Augenblicks drei flammende Fackeln durch die Luft…. Ich weiß nicht, ob es mehr auffällt als davor auf der Straße, aber ein TAZ Redakteur hat es wohl gesehen und in seinem Bericht erwähnt. Der Abstieg erfolgt dann über das Baugerüst, das inzwischen teilweise eingestürzt ist. Die Volkspolizisten sind offensichtlich um unsere Sicherheit besorgt und keiner denkt an irgendwelche Rügen oder Strafmaßnahmen. Irgendwie finde ich auch Sönke und Andreas wieder und wir gehen zurück in den Westen zu unserer Feier. Am Neujahrstag brechen wir, wie geplant, zu einer Forschungsreise auf, Richtung Süden und Westen, über den Schlosspark von Wörlitz mit spiritueller Wanderung, bis in den Harz. Wir übernachten in Pensionen und feiern bei Jungen Wilden, die später auch nach Hamburg zu unserer Party kommen. Am Ende sind wir dann in Quedlinburg an einem Sonntag, an dem das Dankeschön-Fest für die Bewohner*innen der Grenznahen Gebiete gefeiert wird, weil diese nach der Grenzöffnung so gastfreundlich waren. Da spiele ich dann spontan meine erste Straßenshow im Osten, Anfang Januar bei eisiger Kälte und strahlendem Sonnenschein und es ist eine Freude! Und der Hut ist auch sehr gut: 80,- D-Mark und ca. 160 Ostmark, die wir leider nicht mehr ausgeben konnten, weil wir nach Hamburg zurück müssen und es eben Sonntag ist.

 T wie Todos Santos

Im März 1995 mache ich auf dem Rückweg von Hawaii einen Zwischenstopp in Los Angeles, um von dort aus zu einer Konferenz nach Baja California zu reisen. Kalifornien verlängert sich südlich der Mexikanischen Grenze und wird zu einer langen dünnen Halbinsel  im Pazifik. Todos Santos (Alle Heiligen) liegt ungefähr  1800 km südlich der Grenze, 44 Meilen von der Südspitze von „Nieder-Kalifornien“ entfernt. Ich fliege von L.A. nach La Paz und fahre von dort aus per Bus nach Todos Santos. Hier treffe ich auf ca. 80 internationale Teilnehmer*innen einer Konferenz zur Geschlechterversöhnung (Essential Peacemaking/Women &Men) organisiert vom Earthstewards Network und geleitet von Danaan Parry und Jerrilyn Brusseau. Eine Woche intensiven Austausches, Ritualen und Feiern. Ein lokaler spiritueller Lehrer lädt uns spontan zu einer Schwitzhüttenzeremonie ein und der Leiter des lokalen Theaters organisiert eine Tanzparty und will uns bei der Jubiläumsvorstellung anlässlich des 50. Geburtstages des Theaters dabei haben. Ich habe einen Volkshochschulkurs Spanisch und 6 Wochen Sprachschule in Sevilla hinter mir und kann mich einigermaßen mit den Einheimischen verständigen. Ich darf eine Jonglage-Einlage zum Bühnenprogramm beisteuern. Weil  auf der Bühne für die nächste Nummer umgebaut wird spiele ich vor dem Vorhang und weil ich im Flow bin funktioniert meine Comedy auf Spanisch ausgezeichnet. Ich zünde meine Feuerfackeln an und schmettere ein begeistertes „Cumpleanos Feliz“ als Geburtstagslied für das Theater. Dann schaue ich hinter mich auf den staubigen roten Brokatvorhang, dann auf die lodernden Flammen in meiner Hand und bemerke trocken „Es possible que esta el ultimo cumpleanos del Theatro…“ (Es ist möglich, dass dies der letzte Geburtstag des Theaters wird…). Nichts brennt unbeabsichtigt ab und das Publikum ist begeistert, der Theaterdirektor sichtlich erleichtert, ein spontaner Kulturaustausch vollendet und meine Truppe ist stolz auf mich.

U wie  dUbai

November 2006 – ich bin seit Juni wieder in Deutschland und habe einen Haufen Schulden abzutragen und bin von der Straßensaison recht müde. Da trifft es sich gut, dass Romany einen Gig in den Vereinigten Arabischen Emiraten für zwei Solos an Land gezogen hat.  4 Wochen lang 6 Tage die Woche mehrere Sets Walkabout und Shows im Shopping-Tempel und im Steigenberger Restaurant mit den Panoramafenstern zur Indoor-Skipiste (wobei man auf das „Indoor“  in diesem Kontext wohlmöglich verzichten könnte, da die Skipisten unter freiem Himmel in den Vereinigten Arabischen Emiraten recht dünn gesät sind). Wir sind mit drei Opernsänger*innen (zwei Soprane und ein Tenor) aus England gemeinsam angereist und treffen noch auf ein australisches Clownsorchester, das „Von Trolley Quartett“.

Wir sind in einem Appartement Hotel  untergebracht und es gibt einen Bus Shuttle vom Hintereingang des vollklimatisierten Shopping, Restaurant und Hotel Komplexes. Wir warten neben dem schmutzigen Schneeberg, der aus dem „Skigebiet“ ausgewechselt wird und vor sich hin schmilzt. Essen gibt es für uns in der Kantine, wo wir mit den Arbeitskräften zusammensitzen, die 6 Tage die Woche 10 -12 Stundenschichten arbeiten und dafür teilweise weniger als 500$ im Monat verdienen. Das Essen ist der nationalen Vielfalt des Klientels angepasst (Einheimische arbeiten hier nicht) und insofern sehr vielfältig. Einmal sitze ich mittags einem Chinesen gegenüber, der zu seinem Reis immer wieder von einer Chilischote abbeißt. Meine Arbeit besteht aus kurzen Sets auf der Bühne, wo ich zu Ska-Musik von „Madness“ und „The Specials“ Keulen jongliere und mein Diabolo unter das Dach der Einkaufstempelkuppel werfe und Minishows für Shopper und deren Kinder, die sich oft nur widerwillig von ihrer Hauptaufgabe ablenken lassen, sowie kleinen Close-Up Sets an den Restaurant Tischen vom Steigenberger Hotel. Es ist eigentlich so wie in allen Shoppingtempeln, bloß das mehr verschleierte Frauen in schwarz und mehr Männer in weißen Scheichsgewändern unterwegs sind….

Unsere Zimmer sind in einem Vorort mit Läden und Wohnhäusern, eine andere Welt als die Vollklimatisierte des Stadtzentrums. Ein Strand ist in der Nähe und wir können vormittags im Meer schwimmen.  Ich hatte gehofft mein Arabisch zu verbessern, aber fast alle Menschen mit denen ich Kontakt habe sind „Gastarbeiter“. Nur die Apothekerin ist Einheimisch (und gelegentlich die ein oder andere Gruppe von Arabern im Restaurant, wo ich dann meine Balldrehnummer auf Arabisch zum Besten gebe).  So schlafe ich dann regelmäßig zur Koranrezitation im Radio ein….

Die Freizeitangebote sind vielfältig, Dubai ist ein Ort voller künstlicher Welten und Superlative und ständig entstehen Neue und Größere. Unter anderem besuchen wir einen Wasserpark mit 80 Meter hoher Rutsche, ein „Dinner-Varieté“ Open-Air mit beduinischen Reiterkämpfen, einen alten Souk (frisch gebaut und künstlich gealtert) und ich fahre zum ersten und letzten Mal  Indoor-Kart….

Wieder in Hamburg zurück freue ich mich auf echten Schnee und die Off-Saison.

Romany bekommt später noch Folgeauftritte in Dubai – ich nicht und es ist auch nicht schade drum…!

V wie Via Thea

Görlitz ist eine wunderschöne Stadt. Das Via Thea in Görlitz ist eines der schönsten Straßenkunst-Festivals in Deutschland. Wir wissen das vom Hörensagen (ob der extremen Lage an der polnischen Grenze sind wir noch nicht vorbei gefahren) und haben uns schon ein paar Mal erfolglos beworben.

Und dann, Ende Juni 2017, hat ein Kollege einen Unfall als Fänger am Trapez mit Knieverletzung und ich soll kurzfristig einspringen und seinen Straßenshow Spot  mit meiner Jongliershow füllen. Wir sind gerade an der Vorpommerschen Ostseeküste unterwegs und machen uns direkt auf den Weg ins Dreiländereck.

Wir finden das Orga-Büro in der Altstadt, werden willkommen geheißen und gut betreut und ich schaue mir um die Ecke den Auftrittsort für meine erste Show am Freitagabend an. Kopfsteinpflaster, Arkaden im Hintergrund gute Akustik – ich bereite mich rechtzeitig und wie auf eine Bühnenshow vor und wie erwartet kommt das Publikum früher und die Herausforderung besteht darin die Spielfläche groß genug zu halten. Die Aufmerksamkeit ist großartig, auch die subtilen Pointen landen in der Breite und ich mache alles richtig. Nach der Abschlussverbeugung hört das Publikum nicht auf zu applaudieren. Mit Tränen in den Augen bedanke ich mich und sage, wie schön es ist an einem Ort zu spielen, wo sich das Potential  von Straßenkunst in seiner Fülle entfalten kann. Liebe auf den ersten Blick – wieder Mal!

Weil ich in Vertretung nur eine Show pro Tag spielen brauche (für die 2 Duo-Show Programme springt ein anderer Kollege ein) haben wir viel Zeit durch die Stadt zu schlendern, vormittags in Cafés zu sitzen und nachmittags bis spät in die Nacht Shows anzugucken. Am Samstag laufe ich mit meinen Requisiten über die Flussbrücke nach Polen und spiele dort auf dem Brückenvorplatz in Zgorzelec….

Am Sonntagmorgen plaudere ich mit Christiane Hoffmann der Festival-Leiterin und plötzlich fragt sie mich, wo wir denn eigentlich geschlafen hätten – sie habe in der Aufregung ganz vergessen uns eine Unterkunft zu organisieren…. Ich lenke ihren Blick in die nächste Seitenstraße, wo unser „Wohnmobil“ geparkt ist. „Wir haben im Wagen geschlafen“ erzähle ich ihr. Woraufhin sie uns für das nächste Jahr einlädt alle zusammen wiederzukommen, inklusive Ferienwohnung!

Also sind wir 2018 wieder dabei, diesmal Donnerstag bis Sonntag. Nicole spielt 4 verschiedene Programme (Kindertheater, Waschlappentheater, Feuershow und Familienshow Kalumalu Hepajo) und ich Solo und mit Kalumalu Hepajo. Die Familienshow spielen wir einmal am Tag und das „Fachpublikum“ in Görlitz ist begeistert von unserem Konzept. Als wir am 2. Tag auf einem abgelegenem Platz aufbauen, auf dem gerade noch eine Band spielt wird es so voll, dass die Band noch eine Zugabe spielt. Als ich jedoch unser Seil als Bühnenbegrenzung auslege drehen sich alle zu uns, um die schönsten Plätze zu sichern….

Was bleibt sind wunderschöne Showfotos, die in unserer Werbung ausgiebig genutzt werden und Erinnerungen an eine Zelebration von Straßenkunst in vollem Potential. Verbindend, begeisternd transformierend. Sollte ich irgendwann in den Himmel kommen, so bin ich mir ziemlich sicher, dass die Auftrittsbedingungen dort, denen bei der Via Thea recht ähnlich sind.

W wie Wasserspiele

Durch das Canal City Shopping Center in Fukuoka auf Kyushu in Japan fließt ein kleiner angelegter Fluss. In diesem Fluss gibt es eine Runde Insel, die durch 3 Kleine Stege mit der Flanierstraße verbunden ist und als Bühne dient. Wenn es voll wird, besonders am Wochenende, steht das Publikum auf 4 Etagen im Halbkreis um diese Bühne herum. Weiterhin befindet sich in diesem Fluss eine Fontänen-Anlage, ähnlich den Wasserspielen bei Planten und Blomen in Hamburg. Die Wasserspiele bilden den Auftakt zum jeweiligen Showprogramm, das auf der Bühne stattfindet. Wenn man diese Wasserspiele einige Male beobachtet hat (z.B. wenn man 5 Wochen lang 6 Tage die Woche 3 bis 4 mal auf dieser Bühne auftritt), dann kann man diese quasi dirigieren!

Ein weiterer Erfolg unserer Video Bewerbungsaktion mit der „Cobble Comedy Company“ (siehe Q wie Québec City) war eben dieses Engagement in einem großen Einkaufszentrum in Japan. Es gibt verschiedene Orte in Japan an denen regelmäßig europäische oder US-amerikanische Straßenkünstler engagiert werden. Hauptsächlich handelt es sich um Vergnügungsparks, aber auch große „Malls“ (Einkaufstempel) gehören dazu. Die Anfrage kam kurzfristig, da wohl jemand ausgefallen war und so kam es, dass wir im Mai und Juni 1999 in einem Appartement-Hotel am Rande von Fukuoka untergebracht sind und täglich mit dem Bus zur Hakata-Mall fahren, um unsere Messerwurf-, Comedy- und  Geschlechterdramashow auf japanisch  zur Aufführung zu bringen. Die ursprüngliche Übersetzung unserer Show macht eine Schulfreundin von mir, die in Japan studiert hat und wir schreiben den Text auf Karteikarten und lernen ihn größtenteils auf dem Flug auswendig. Nach der ersten Show kommt unser Betreuungsteam im Sauseschritt mit in die Garderobe und wir überarbeiten und kürzen den Text auf ein Drittel. Damit kommen wir dann recht bald gut zurecht. Dass die erste Version quasi unbrauchbar war, liegt weniger  an den mangelnden Sprachkenntnissen der Übersetzerin, als an ihrer Unkenntnis von Comedy und Timing.  Wir lernen noch ein wenig lokalen Slang, den wir dann zur großen Begeisterung der Einheimischen in die Show einarbeiten. Wir lernen „für die Ränge“ zu spielen, da die Zuschauer*innen Samstags auch in der 4. Etage der Mall stehen und die Shows sehen wollen. Wir haben die Anfangschoreografie auf „Let me entertain you!“  von Robin Williams umgestellt, etwas mehr Energie, etwas weniger Comedy. Die Freiwilligenarbeit ist in Japan für uns anspruchsvoll, aber Romany ist charmant und überzeugend. Das Spiel mit Geschlechterdynamik und Stereotypen funktioniert großartig und „Bitte hinsetzen!“ (in diesem Fall auf den Sitz an der Messerwand) heißt „Okake kudasai!“, was wir auf der Busfahrt auch immer wieder zu hören bekommen

Der Kulturschock ist immens. An unserem freien Tag gucken wir uns entweder  alte Tempel an, die uns ein Pärchen befreundeter Fotografen zeigen, die vor einiger Zeit im gleichen Haus wie wir in Shepperds Bush, London zur Untermiete gewohnt hatten (kurioser Weise ist unser Appartement in Fukuoka größer als unser BedSit in London) oder wir gehen mit einem Neuseeländischen Clown (den kenne ich aus Hawaii) und seiner japanischen Frau, die Puppenspielerin ist, in öffentliche Badehäuser. Wir stellen fest dass Badekultur und Essen die bestimmenden Aspekte von Kultur und Heimat sind.

X wie Xanten

Inzwischen sind wir (KalumaluKammann & Lucy Lou) seit 15 Jahren gemeinsam auf Tour, seit 12 Jahren zu dritt, seit 9 Jahren zu viert und seit 6 Jahren zu fünft. An viele Orte kehren wir immer wieder zurück, z.B. zum Pflasterspektakel in Linz (siehe G wie Gauklerhochzeit) oder zum Gauklerfest in Tuttlingen (wo Lucy Lou gerade die 20. Ausgabe kuratiert hat).

Auch wenn wir tingeln, ohne Engagement spontan „auf Hut“ spielen haben wir unsere Routen und Lieblingsplätze, die wir immer wieder bespielen und auch wenn Straßenkunst notorisch flüchtig ist, wenig physische Spuren hinterlässt und wir die Tingel-Touren spontan und in Koordination mit den gebuchten Gigs planen, so merken wir doch immer mal wieder, dass wir doch Spuren hinterlassen, sogar „Stammpublikum“ haben. So kann es vorkommen, dass man auf der Autobahnraststätte hinter Hannover angesprochen wird, von Urlaubsheimkehrern, die vor einer Woche an der Küste eine Show miterlebt haben, oder dass an der Ostsee in der Schlange am Eisladen die Frau vor mir fragt: “Wie geht es denn Paula? Die war vor 2 Jahren in Ihrer Show dabei und war so niedlich!“.

Und dann gibt es die Leute mit denen wir uns anfreunden, meistens Familien mit Kindern. Manchmal weil wir am Strand nebeneinander liegen und die Kinder zusammen spielen und die Eltern nett sind und dann Abends die Show gucken kommen, oder welche, die uns schon die Jahre vorher spielen haben sehen und wir mit denen nach der Show ins Gespräch kommen und uns dann am Strand verabreden. Mit einigen haben die Kinder dann Brieffreundschaften und wir telefonieren, wann sie denn wieder an der Küste sind und wenn es sich einrichten lässt fahren wir dann so, dass wir uns wieder treffen. Oder sie laden uns ein, sie mal zu besuchen wenn wir in der Gegend sind und wir treffen uns in Berlin oder in Xanten….

Thomas und Katrin haben 3 Töchter, machen regelmäßig an der Nordsee Urlaub und wohnen in Xanten. Dort erzählen sie, könnte man bestimmt auch gut Straßenshows machen…. Wir sind in der Nachsaison 2015 in Nordrhein Westfalen unterwegs, Jonte ist im Krabbelalter und wir fahren einen Schlenker und parken Samstagnachmittag vor ihrem Haus. Die Kinder spielen zusammen, Jonte wird von 5 Mädchen verhätschelt und wir klönen bis spät in die Nacht (nach Eltern-Maßstäben – es war nach 22.00 Uhr) und schlafen dann im Wohnmobil. Sonntag nach dem Frühstück fahren wir zusammen in die Stadt. Ich hole meine Show aus dem Auto und Katrin macht Werbung auf Facebook und per Telefon. Wir ziehen gemeinsam auf den Marktplatz, das Wetter ist sonnig und frisch und ich habe knapp 20 Leute als Anfangspublikum mit deren Unterstützung es mir dann gelingt einen ordentlichen Kreis zusammenzukriegen. So spiele ich an einem neuen Ort eine schöne Show an einem Sonntagnachmittag, an dem ich wohl woanders nicht gespielt hätte und habe zu allem Überfluss auch noch eine wirklich gute X-Geschichte!

Vormittags gehen wir öfters zum Strand, machen ein Picknick zum Frühstück und ich schwimme alleine im Japanischen Meer (Romany ist es zu kalt und die Badesaison ist erst im Juli, selbst das Innenschwimmbad im Hotel  ist bis dahin geschlossen). Die Lebensmittelpreise sind hoch, aber nach 20.00 Uhr gibt es Supermarktsushi zum halben Preis und die Qualität ist besser als  teures Restaurant Sushi in Hamburg. Nach Ende unseres Gastspieles fahren wir noch 3 Tage nach Beppu zu den heißen Quellen vulkanischen Ursprungs und werden ganz doll sauber, bevor wir zurück in den Flieger nach London steigen….

Y wie Yugoslavia

Zum ersten Mal komme ich durch Jugoslawien, als ich 1984 nach dem Abi 3 Monate durch Europa trampe. Ich bin von Südfrankreich unterwegs in die Türkei, weil ich mir vorgenommen hatte Europa zu verlassen. Die Transitstraße heißt Autoput und führt über 1182 Kilometer durch heutiges Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien nach Griechenland . Ich war bereits in Avignon auf dem Festival du Theatre, habe bis zum Abwinken Straßenshows geguckt und werde auf der letzten Etappe in England die 3-Ball Jonglage erlernen und dann bei meiner Ankunft zu Hause meinen zukünftigen Duo-Partner Majhab kennenlernen, weil der grad auf der Fensterbank seiner Erdgeschoßwohnung lehnt als ich von der Reise erfüllt mit Rucksack aus der S-Bahn komme.

9 Jahre später, beim 2. Mal gibt s dann Jugoslawien nicht mehr und Majhab und ich sind nach dem Pflasterspektakel von Linz Mitte Juli nach Süden gefahren und spielen als „Brust oder Keule“ Straßenshows in Ljubljana, Slowenien und haben viel Spass. Wir lernen junge Leute kennen, die uns erzählen, wie die Unabhängigkeit Sloweniens recht schnell und vergleichsweise friedlich zu Stande kam.

Die nächste Reise mache ich mit Romany 1997 im Rahmen einer Veranstaltung des Earthsteward´s Network. Junge Menschen aus Serbien und Kroatien pflanzen in der Nähe von Belgrad gemeinsam Bäume und es gibt ein internationales Treffen im Anschluss. Student*innen aus Belgrad berichten von den 3 Monate andauernden Protesten und Demonstrationen, die auf Grund des Wahlbetruges bei den lokalen Wahlen im November 1996 stattfanden und schließlich erfolgreich waren. Wir fahren im Anschluss an das Treffen mit nach Belgrad. Es ist Wochenanfang, lauer Sommerabend und die Innenstadt ist voll von Menschen und es brummt vor Aufbruchsstimmung (ähnlich wie Berlin in den frühen 90ern). Mit der moralischen und praktischen Unterstützung unserer Gastgeber*innen finde ich einen guten Spielort, stelle meine Requisiten ab und räuspere mich einmal … sofort habe ich einen großen Publikumskreis aus überwiegend jungen Leuten und spiele meine Show auf Englisch. Es läuft so gut, dass ich es ein 2. Mal wage, diesmal mit dem Büro des Goethe-Institutes hinter mir. Es läuft großartig und ich investiere die Huteinnahmen in Getränke für die anschließende Party…!

P.s. Während der völkerrechtswidrigen Bombardierung Belgrads/Serbiens durch die NATO Staaten unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland von März bis Juli 1999 sehe ich ein Foto in der Zeitung, das die eingeworfenen Scheiben des Goethe-Institutes in Belgrad zeigt….

P.p.s. 2002 bin ich mit dem Earthstewards Network noch einmal in Kroatien und wir leiten zu viert in Vukovar, Schauplatz der schlimmsten Schlacht des Kroatienkrieges, ein Seminar über Verständigung und Versöhnung an. Von den 22 Teilnehmer*innen sind 8 aus Serbien, 8 aus Kroatien, 3 aus Bosnien und 3 aus dem europäischen Ausland.

Z wie Zielona Gora

Zielona Gora auch bekannt als Grünberg liegt im Westen Polens, ca. 80 Kilometer südöstlich von Frankfurt/Oder und gehört neben Wroclaw (Breslau), Brzeg (Brzeg) und Jelenia Gora (Hirschberg) zu den Stationen der BuskerBus Straßenkunst Tour durch das westliche Polen.

Ein weißbärtiger Straßenmusiker mit Strohhut hatte mir einmal auf dem Pflasterspektakel in Linz einen BuskerBus Aufkleber geschenkt und ich hatte ihn auf meinen Empfänger geklebt und bei jedem Showaufbau wahrgenommen. Die Tour war immer Ende Juni und viele der Gruppen waren im Anschluss beim Pflasterspektakel dabei und strahlten Freude und Verbundenheit aus und wie es recht häufig vorkommen kann, so auch dort – schöne Tour, kein Budget für Gagen….

Im Sommer 2008 hatten Nicole (Lucy Lou) und ich dann über unseren Kollegen Bartel ein Engagement auf einem Puppentheaterfestival in Lettland und beschließen auf dem Hinweg beim BuskerBus mitzumachen. Ich war noch nie in Polen gewesen und bemerke bei der Vorbereitung, wie viele Vorurteile ich im Kopf habe und wie fern und fremd mir Polen erscheint. Ich lese das Buch „Viva Polonia“ des deutschen Schauspielers und Kabarettisten Steffen Möller, der mit Humor und aus Künstlersicht sein Leben in seiner Wahlheimat Polen schildert und besorge mir einen polnischen Sprachführer.

Der weißbärtige Straßenmusiker mit dem Strohhut heißt Romuald Poplonyk und organisiert das Straßenkunstfest zum 12. Mal. Er ist schon seit vielen Jahrzehnten Straßenmusiker und hat ca. 25 Solokünstler*innen und Gruppen (rund 60 Leute) aus der ganzen Welt zusammengeholt. Auf dem Info- und Anmeldungszettel steht sinngemäß (in unperfektem Englisch) :  „ Auf dem „BuskerBus“ gab es zu keiner Zeit (und wird es nie geben): Urkunden, Wettbewerbe, Ranglisten oder ähnlichen Unsinn. Wir unterstützen ausschließlich freie und unabhängige Künstler*innen.“ Romuald versorgt uns mit Nahrung, Herberge und Logistik. Wir spielen zwischen dem 22.6. (Wroclaw) und dem 3.7. (Zielona Gora) an 9 Tagen 2 Shows pro Tag auf Hut. Der Bus bringt die Künstler*innen ohne Fahrzeug von Ort zu Ort und abends gibt es immer einen „Festivalclub“, eine Bar oder ein Restaurant, wo alle (aber überwiegend die Musiker*innen) noch mal spielen können und zusammen gefeiert wird.

Die Spielbedingungen bewegen sich zwischen großartig und So Lala, historische Innenstadtplätze mit vielen Menschen am frühen Abend und eine Arbeitersiedlung neben dem Markt am Mittwochvormittag. Auch Shows, die man unter „normalen“ Umständen nie gespielt hätte und die deswegen in Erinnerung bleiben.

Was noch in Erinnerung geblieben ist –

Die Marzipantorte im Theatercafé von Zielona Gora! 

„Zamknij sie“ heißt „Halt´s Maul“ und wirkt bei störenden Kindern hervorragend und ist überraschend und lustig, weil unerwartet von einem Fremdsprachigen (es lohnt sich immer sich von Einheimischen einige Slang-Wörter zu besorgen, meine Quelle war ein junger Straßenmusiker).

Das polnische Publikum ist offen, interessiert und dankbar, die Hüte sind nach Kaufkraft so wie bei uns, nach Umtauschkurs ein Drittel davon. Wir haben die Anfahrtskosten erstattet bekommen und Romuald zahlt noch extra Fahrtgeld, da wir in unserem Transporter  noch Gepäck und Requisiten von Kolleg*innen transportieren.

2010 sind wir mit Henriette zusammen wieder beim BuskerBus dabei und sind seither immer wieder mal in Polen.